ДTschelkaschУ

 

Im Sommer 1944 beendete ich die Schule und bewarb ich mich an der Fakultдt fьr Geschichte der Moskauer Staatlichen Universitдt.

Da war ich  17 Jahre alt. Eine Aufnahmeprьfung war mir erspart geblieben, weil ich die Schule mit ДAusgezeichnetУ abgeschlossen hatte. In der Konsultation, zu der man mich eingeladen hatte, erцffnete man mir: ДSie sind angenommen und werden an der Front der Arbeit eingesetzt. Morgen frьh um 8 Uhr  geht es vom Bahnhof beim Flusshafen Chimki los. Machen Sie sich bereit.У

 

Natьrlich war ich bereit. Und nicht nur ich, sondern noch fьnfhundert weitere frisch gebackene siebzehn- bis achtzehnjдhrige Studenten der Universitдt. Es waren fast nur Mдdchen. Die wenigen Jungen waren fьr die Front untauglich. Manche waren Brillentrдger, andere chronisch krank. Drei Monate lang zogen wir in der Nдhe von Kalinin riesige Flцяe, die mit sechs Meter langen Holzstдmmen beladen waren, den Fluss entlang. Wir kamen uns vor wie die Treidler auf dem berьhmten Gemдlde von Ilja Repin.

Wir erhaschten die Holzstдmme, die in der Strommitte des Flusses einzeln trieben. Danach zerrten wir sie bis zu einer Drei-Meter-Markierung, wo sie zu Verbдnden zusammengefьgt und ьbereinander gezogen wurden. Diese wurden dadurch immer schwerer und tauchten so tief ein, dass wir bis fast an die Knie im kalten Wasser standen. Unser Brigadier sprang dann zu uns und befestigte die geladenen Stдmme mit einem Seil, um sie transportfдhig zu machen. Zu unseren Aufgaben gehцrte es auch, verkeilte Stдmme zu lцsen und sie wieder in die Strцmung zu bugsieren. Dazu mussten wir im Fluss hochkant stehende Holzstдmme, die das Flцяen behinderten, herausfischen. Eigentlich war das eine Arbeit, die nur von Hьnen gemeistert werden konnte. Sie war schwer und gefдhrlich und ganz und gar nicht fьr Mдdchen geeignet. Trotzdem haben wir sie bewдltigt.

Die Flцяe, die wir mit Hilfe unserer Hakenstцcke zusammengefьgt hatten, schwammen schlieяlich ruhig flussabwдrts weiter.  

In die Weisheiten und Geheimnisse des Holzflцяens wurden wir von unserem Brigadier eingewiesen. Er war lang wie eine Hopfenstange, dьnn wie Don Quijote und konnte fluchen, dass man seinesgleichen erst einmal suchen mьsste. Tдglich begoss er seine Magengeschwьre mit einer Flasche Wodka. Auf uns hackte er herum, weil wir fьr ihn zunдchst nur unbeholfene kleine Stadtschnepfen waren. Als gebildete Hauptstдdterinnen, die das Leben an den Gestalten der Literatur maяen, nannten wir ihn sogleich Tschelkasch, nach dem Haupthelden der gleichnamigen Erzдhlung von Gorki.

 

Wir hatten einen zwцlfstьndigen Arbeitstag mit einer Stunde Mittagspause. Unser Mittagessen bestand immer nur aus einigen Stьckchen Schwarzbrot, die wir aus der Kantine mitnahmen. Verpflegung gab es nur morgens und abends. Am Morgen einige Lцffel Haferflockenbrei mit ranzigem Pflanzenцl und am Abend eine dunkle Plempe aus getrocknetem Gemьse, das weder weichgekocht war noch dieser Brьhe ein genieяbares Aussehen verleihen konnte. Doch wir aяen sowohl den Brei als auch die unansehnliche Suppe mit einem Mordsappetit und warteten immer darauf, dass man uns endlich einmal Kartoffeln kochen wьrde. Die Zeit verging, aber es trafen keine anderen Lebensmittel ein. Wir hielten durch, solange wir uns in unserer unsдglichen Mьdigkeit auf dem Heuboden noch hungrig auf unsere Lagerstatt fallen lassen konnten, auf der wir uns in einer tiefen Kuhle vergruben: unter uns Heu, an den Seiten Heu, ьber uns die ganze Kleidung und wieder Heu. Wir hielten durch, solange wir noch einschlafen konnten, obgleich wir vor Kдlte am ganzen Kцrper zitterten. Bis wir an uns die ersten Lдuse entdeckten!

Da schwante uns allmдhlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir brauchten unbedingt ein richtiges nahrhaftes Mittagessen. Egal woraus es bestand, es musste etwas Ordentliches beschafft werden.

 

In den Mittagspausen suchten wir nun Pilze, vor allem Hallimasch. Und nachts lieяen wir von den Feldern des Sowchos Kartoffeln, Kohl und Steckrьben mitgehen. Lena und ich klauten ДabwechselndУ fьr uns und fьr die Freundinnen. Wir stahlen, weil und der Hunger quдlte, um beim Holzflцяen durchzuhalten. Ich muss zugeben, dass ich deswegen keinerlei Gewissensbisse hatte. Spдt abends, wenn es schon ganz dunkel war, machte ich mich auf den Weg zum Feld, bьckte mich dort lдssig und tat so, als wьrde ich mir die Schnьrsenkel  meiner monstrцsen amerikanischen Stiefel zubinden. Dabei riss ich dann ganz schnell eine unmittelbar am Wegesrand stehende Kartoffelstaude heraus, trennte eilig die Knollen ab und verstaute sie in einem Hosenbein der Wattehose. Die Staude warf ich achtlos auf die Straяe. Schnellen Schrittes ging ich dann zurьck zu unserem Heuboden. Am nдchsten Tag war Lena an der Reihe, fьr uns fьnf Mдdchen auf Beute zu gehen. Dann war die Reihe wieder an mir. Die anderen Mдdchen trauten sich nicht. Ihre Angst war grцяer als der beiяende Hunger, als die Sorge fьr das eigen Wohlergehen und das der Kameradinnen. Doch warteten sie immer voller Ungeduld auf unser Beutegut, und sie aяen mit der gleichen Lust wie die zwei ДDiebinnenУ. Lena und ich gaben uns redliche Mьhe. Doch schon ballten sich ьber uns unheilvolle Wolken zusammen, die sich bald in einem bedrohlichen Gewitter entluden.

Eines schцnen Tages, als wir uns nach dem Mittagessen gerade auf der blanken Erde hingestreckt hatten, um uns eine halbe Stunde Tiefschlaf zu gцnnen, kam der Vorsitzende des Sowchos wutentbrannt zu unserem Lagerfeuer geschnauft. In seinen riesigen Hдnden hielt er vertrocknete Kartoffelstauden. ДGehцren die zu dir?У, schrie er den Brigadier, unseren armen Tschelkasch, an und zeigte Unheil kьndend in unsere Richtung.

ДDas ist das Werk ihrer schmutzigen Hдnde! Ich werde deine Mдdchen schnell hinter Gitter bringen, diese Diebinnen!У fauchte er und lieя unseren Chef gar nicht erst zu Wort kommen.

Unser mannhafter Brigadier, der groяe, dьnne, langarmige Tschelkasch freilich fuhr fort, sich seine Hдnde gelassen am Lagerfeuer zu wдrmen. Nur den Kopf wandte er verдchtlich dem sich wie wild gebдrdenden Mann zu. Das brachte den tobenden Vorsitzende nun gдnzlich auяer sich. ДLos, sag endlich, wer sind die Diebe? Sonst werde ich sie alle verhaften lassen. Ich werde es euch zeigen, staatliches Eigentum zu stehlen!У

ДDie waren das doch gar nichtУ, antwortete Tschelkasch seelenruhig. ДSiehst du denn nicht, die sind doch alle aus der Stadt, sind ganz lammfromm. Die stehlen doch nicht, verstehst du das denn nicht?У

ДUnd was ist in den Kochgeschirren?У, fragte der Vorsitzende schimpfend weiter.

ДDann guck doch hineinУ, meinte Tschelkasch bissig. ДVielleicht findest du etwas.У Er wusste ja, dass alles bis zum Grund ausgeleckt war. Dann fьgte er, die Gunst des Augenblicks nutzend, hinzu: ДSei sicher, wenn ich eine erwische, bin ich der Erste, der dir das meldet. Diebstahl lasse ich bei keinem durchgehen. Das kannst du glauben!У

Der Vorsitzende beruhigte sich etwas, stand noch ein Weilchen dort herum und ging dann seiner Wege.

 

Erleichtert aufatmen in der Hoffnung, dass nun alles vorbei war, konnten wir jedoch nicht. Kaum war das wьtende Oberhaupt des Sowchos verschwunden, da sprang der erboste Tschelkasch, wie von der Tarantel gestochen, auf seine langen staksigen Beine. Mit wьtend funkelnden Augen blickte er voller Verachtung auf uns, die vor ihm liegenden Flцяerinnen. Sein vorgestreckter Zeigefinger wies gebieterisch auf Lena und mich und er schnauzte los: ДDu und du! Steht auf und kommt mit!!!У

ДDer wird uns jetzt vertrimmenУ, dachte ich ohne jeden Schrecken. ДDer weiя alles von uns. Er hat uns zwar vor dem Vorsitzenden gerettet, nun wird er uns aber  auf seine Weise belehren. Und Recht hat er natьrlich auch.У

Demьtig und folgsam, von den bedauernden Blicken der zurьckgebliebenen Mдdchen begleitet, folgten wir dem weit ausschreitenden Tschelkasch, dessen lange Beine an einen Zirkel erinnerten. Er ging schnellen Schrittes und zielgerichtet. Doch wohin?

Als er an das Kartoffelfeld kam, durchschritt in voller Grцяe die Hдlfte der Furchen und forderte uns auf, ihm zu folgen. In der Mitte des Feldes setzte er sich plцtzlich zwischen die Furchen und zog seine ausgetretenen Stiefel aus. ДDamit wird er uns jetzt eins ьberziehenУ, dachte ich verwundert und hockte mich auf seine Weisung auch schon neben Lena hin.

Da bьckte sich unser Tschelkasch plцtzlich zu einer Kartoffelstaude und grub wie ein Hund ganz schnell die Knollen aus der Erde. Wie auf einem Flieяband lieя er die groяen, schцnen Kartoffeln eine nach der anderen in seinen Stiefeln verschwinden. Zuerst in dem einen und dann in dem anderen. In wenigen Minuten hatte er seine merkwьrdige Aktion beendet, nahm beide Stiefel unter den Arm und sagte: ДSo wird das gemacht, Mдdels! So merkt keiner etwas. Aber ihr Kindskцpfe habt sie euch am Wegesrand geholt. Und dann habt ihr auch noch die Stauden mit herausgerissen, ihr Naivlinge!У Damit ging er, stolz auf die uns erteilte Lektion, davon.

Wir waren ьberaus gelehrige Schьlerinnen: Unsere Kartoffelration war jetzt grцяer geworden. Und die Frau, eine Arbeiterin des Sowchos, die uns selbst in den kalten Herbstnдchten nicht in ihrer Hьtte, sondern nur auf dem Heuboden ьbernachten lieя, fragte auch nie, wo wir die Kartoffeln her hatten, die abends in ihrem massigen russischen Ofen kochten.

 

Beim Holzflцяen 1944 bedeutete menschlich zu sein durchaus nicht, das Gebot ДDu sollst nicht stehlenУ einzuhalten. Da wurden andere moralische Prinzipien benцtigt. Unser spindeldьrrer Tschelkasch kannte sie. Unsere Wirtin wohl auch. Vielleicht kannte sie der Vorsitzende des Sowchos ebenfalls, denn er kam nie mehr zu unserem Lagerfeuer und suchte nie mehr in unseren Kochgeschirren nach Spuren eines Diebstahls. Er lieя uns Mдdchen in Ruhe.

Auf diese Weise hatte das Schicksal Lena und mich vor dem Gefдngnis bewahrt. Unsere Jugend blieb uns erhalten, im Unterschied zu Tausenden hungriger Landsleute, die wegen einer Rolle Zwirns, wegen einiger Kartoffeln oder ƒhren vom Feld des Kolchos oder Sowchos in Straflager geschickt wurden. Wir hatten Glьck gehabt ...

Wusste Tschelkasch eigentlich, dass ich eine Deutsche war? Natьrlich, das wussten ja alle. Allein schon mein Vorname verriet es, ganz zu schweigen von meinem Vatersnamen, wo mein Vater noch dazu Fritz hieя. Fьr Tschelkasch war meine Nationalitдt aber ohne Belang. Ich war groя, stark und zдh, das war es, was er als Brigadier brauchte.

Ohne Anweisung hatte ich die Leitung der Mдdchen bei der Beseitigung der verkeilten und aufgetьrmten Stдmme ьbernommen. Wir waren ohne Aufforderung vor Ort, wenn es galt, mit den Krдften einiger schwacher Mдdchenhдnde Ц die sich freilich nicht in Pferdestдrken messen lieяen Ц die mдchtigen Baumleiber von der Stelle zu bewegen. Das war eine Schufterei, die selbst krдftige Mдnner ins Schwitzen gebracht hдtte.

Das hatte auch Tschelkasch beeindruckt. Er war nun der Sorge entledigt, stдndig auf uns achten zu mьssen. Nein er musste sich nicht unausgesetzt ьber die Stadtmдdchen aufregen und erbдrmlich fluchend sein schweres Schicksal beklagen.

Es mag komisch klingen, aber es war so, dass ich mit meinen siebzehn Jahren fьr Tschelkasch jemand war, auf den er sich verlassen konnte. Dazu musste ich aber einiges lernen. Und das hat er mir auch beigebracht. So zum Beispiel, dass man bei starkem Regen unter einer Fichte Schutz suchen muss. Dazu hatte er mich einmal regelrecht zwingen mьssen. Denn ich hatte ein ausgesprochen ьberhebliches Misstrauen gegenьber einer derartigen Ц wie ich damals dachte Ц ДDummheitУ, dass einen Nadeln besser als Blдtter vor einer vom Himmel herabprasselnden Flut schьtzen kцnnen. Doch sie hatten uns zuverlдssig geschьtzt. Tschelkasch und ich waren die Einzigen, die trocken aus ihrem Unterstand herauskamen. Welch Wunder!

Und die Nationalitдt? Was spielte die schon fьr eine Rolle, wenn es sich ums Flцяen handelte und wenn als Arbeitskrдfte nur zarte Mдdchen und schwдchliche Jungen mit starken Brillen zur Verfьgung standen. Die Baumstдmme aber waren von gewaltigem Gewicht und folgten ihren eigenen Gesetzen.

Tschelkasch war die ДReinheit des BlutesУ egal. Das war nicht seine Angelegenheit! Das Schicksal hatte ihm eine ganz andere Verantwortung vor seinem Gewissen und vor Gott, wenn er an ihn glaubte, auferlegt: Die eifrigen Moskauer Mдdchen, die ihm an Stelle von Mдnnern Ц und sei es auch nur schwдchlichen Ц von irgendwelchen Idioten zum Flцяen geschickt worden waren, vor Ungemach zu schьtzen. Auяerdem musste er alles Erdenkliche tun, um mit Hilfe dieser halben Kinder die Front zu unterstьtzen. Das war es, was ihn bewegte, das waren die Aufgaben, die unser Tschelkasch zu lцsen hatte. Nicht mehr und auch nicht weniger! Und zusдtzlich hatte er uns noch vor Gefдngnis und Hunger zu bewahren.

Mir hat Tschelkasch dann sogar das Leben gerettet.

An einem der letzten Tage unseres Flцяerabenteuers fьhrte er uns zu einem weit entfernten Uferabschnitt. Als wir dort ankamen, sahen wir, dass sich in der Mitte des Flusses, dicht bei einem aus dem Wasser ragenden gigantischen Stein, ein heilloses Gewirr  von kolossalen Baumstдmmen gebildet hatte. Um die aufgetьrmten und verkeilten Riesen herum gurgelte der herbstlich kalte Fluss, der zwar schon flacher als gewцhnlich, aber immer noch hier und da bodenlos war. Auf dem Fluss schwammen noch vereinzelt Stдmme, die nicht miteinander zu Flцяen verbunden waren. Ich glaube, keiner von uns begriff recht, was fьr eine gefдhrliche Arbeit uns erwartete. Ein derartiges Gewirr, noch dazu mitten im Strombett, hatten wir noch nie aufgelцst. Wir standen dicht gedrдngt beieinander und warteten auf den Einsatzbefehl unseres Chefs.

Besorgt, eine ganze Weile am Ufer verharrend, betrachtete Tschelkasch das Malheur. Dann nдherte er sich, bedдchtig im Wasser watend, den verkeilten Stдmmen. Noch war es hier nur knietief, so dass man den Stau im Wasser schreitend erreichen konnte. Erst hinter dem Stein wurde der Fluss dann tiefer.

Tschelkasch hatte bald erkundet, dass sich der Stau im flachen Wasser gebildet hatte und problemlos zu erreichen war. ДDu!У sagte er und zeigte mit dem Finger auf mich. ДKomm mit mir mit.У Die Anderen lieя er am Ufer warten.

Er trug Stiefel, ich schlappte in amerikanischen Fuяballschuhen, Grцяe 46. Kleinere hatte ich nicht gefunden. So begaben wir uns ins Wasser. Es war, wie nicht anders zu erwarten, kalt. Schlieяlich hatten wir schon Oktober. Doch was sollte es? Wir arbeiteten ja tдglich im Wasser, das in unseren Schuhen, die nie trocken wurden, quietschte. Tschelkasch ging mit seinem Flцяerstock, an dessen Ende sich ein eiserner Haken befand, voran. Ich folgte ihm, mit eben einem solchen Hakenstock bewaffnet.

Nachdem wir an der Unglьcksstelle angekommen waren, stieg Tschelkasch auf den Stapel verkeilter Stдmme, sprang aus irgendeinem Grunde mehrfach darauf herum und rief mich zu sich: ДSteig herauf!У So begannen wir zu zweit zu arbeiten. Ein Baum wurde mit dem Hakenstock festgehalten, von mir auf der einen Seite, von ihm auf der anderen. Dann kommandierte er: ДHau ruck, und los!У Und da bewegte sich der Stamm von der Stelle, zuerst nur langsam, dann aber sprang er auf die darunter liegenden Baumstдmme und glitt polternd in den Fluss. So ging es weiter, einer nach dem anderen, wie beim Streichholzspiel, wenn man einzelne Hцlzchen aufnehmen muss, ohne dass die anderen zusammenrutschen und sich verkeilen. Ein Streichholz freilich kann man federleicht anlupfen und zur Seite balancieren. Die Stдmme, die sich uns entgegenstemmten, waren aber keine Zьndhцlzchen. Sie bewegten sich nach anderen Gesetzen, glitten ьbereinander und schoben das ganze Gewirr allmдhlich weiter. Woher sollte ich diese Regeln aber kennen?

Wir arbeiteten zu zweit verbissen weiter. Tschelkasch suchte den nдchsten Baumstamm aus und ich kletterte in seine Richtung, suchte festen Halt und schob meinen Hakenstock unter den Holzstamm. ДHau ruck, und los!У Und schon rollte er zum Fluss. Plцtzlich aber begann der Haufen, auf dem ich so sicher stand, hin und her zu schwanken und auseinander zu rutschen. Um meine Beine vor den gegeneinander schlagenden Ungetьmen zu schьtzen, sprang ich von einem Fuя auf den anderen, hьpfte von Stamm zu Stamm. Jederzeit konnte ich mit den Beinen zwischen die mдchtigen Rundhцlzer geraten. Unter mir brach alles immer schneller zusammen. Wir hopsten und stampften auf einer riesigen polternden Holzlawine.

Am Ufer schrieen alle vor Entsetzen. Ich sprang und sprang, auf eine Anweisung von Tschelkasch hoffend. Nein! Eigentlich hoffte ich, fast sehnlich, auf einen seiner deftigen Flьche, mit dem ja immer alles bei ihm begann. Doch dieses Mal fluchte er nicht. ДSetz dich auf die Hakenstange! Auf die Hakenstange!У schrie er vom anderen Ende des auseinander berstenden Baumstapels. Er sprang ebenfalls wie ein Hase und versuchte, in meine Nдhe zu kommen. ДWie soll ich mich denn auf die Stange setzen?У Ich hatte das nicht verstanden. ДBin ich denn eine Hexe? Ich kann mich nicht auf einen langen Stock mit einem Haken setzen!У Dann, wдhrend ich weiter sprang, wurde mir plцtzlich klar: Wenn nur noch die letzte Reihe der Stдmme ьbrig ist, dann wьrden sich die vormals verkeilten Bдume am Felsblock umdrehen und alles darauf Befindliche in die Tiefe ziehen. №ber mir wьrden sich die schweren Stдmme zusammenschlieяen, und ich hдtte keine Mцglichkeit mehr, wieder aufzutauchen. Ich konnte nur so lange auf den wankenden Stдmmen herumspringen, solange noch einige zusammenlagen. Was sollte ich tun? Mit blieb gar keine Zeit Angst hochkommen zu lassen. Ich hьpfte unentwegt, um mein Leben zu retten. Ich war mir ganz sicher, dass es tatsдchlich um mein Leben ging. Schon etwas ruhiger, suchte ich nach einem Ausweg. Ich sollte mich auf den Hakenstock setzen? Wie sollte ich das tun?

Tschelkasch verstand meine stumme Frage. ДSieh auf mich! Sieh, wie ich es mache!У, befahl er  wieder ohne zu fluchen. Rasch legte er den Hakenstock quer zu den sich chaotisch bewegenden Stдmmen, hielt ihn mit beiden Hдnden fest und kniete sich auf ihn. Das gelang mir auch. Und noch zur rechten Zeit, in allerletzter Minute, als von den Stдmmen nur noch eine einzige Schicht ьbrig geblieben war und diese sich bereits zu dem Stein hin bewegte. Die quer gelegte, eisenbewehrte Flцяerstange machte aus den schwimmenden Stдmmen im Handumdrehen ein zwar wild schaukelndes, aber tragfдhiges Floя.

ДJetzt darf ich nur nicht von dieser Stange fallen. Ich sitze wie ein Papagei im BauerУ, dachte ich, wдhrend mein Floя Fahrt aufnahm und hinter dem Stein in die Richtung der schnellen Strцmung des Flusses, der an dieser Stelle recht tief war, abbog.

Wдhrend ich mich darauf konzentrierte, mich auf der dьnnen Flцяerstange zu halten, sprang Tschelkasch mit seinen langen Beinen, seinen Hakenstock in  der Hand Ц ich weiя nicht wie Ц auf mein kleines Gefдhrt und ruderte es ohne jede Panik ans Ufer.

Erst am sicheren Ufer erцffnete Tschelkasch, verschwitzt und mit zotteliger Mдhne, eine Fluchtirade, wie ich sie weder vorher noch spдter je wieder gehцrt habe.

Anfang Oktober begann der Unterricht an der Historischen Fakultдt der Moskauer Universitдt. Da machten sich die jungen Holzflцяer auf den Weg zurьck nach Moskau.

So kam auch ich in stockdunkler Nacht wieder zu Hause an: Die Herbstsonne hatte sich auf meiner Haut eingebrannt. Ich war ausgedцrrt. Meine Brьste waren flach wie zwei Plinsen und дhnelten der Plastik der Alten des Bildhauers Auguste Rodin. Mein Kopf war voller Lдuse. In den Tagen bis zum Beginn des Unterrichts wusch und badete mich meine Mutter; sie rieb mich mit Petroleum ein, las mir die Nissen in Scharen vom Haar, am ersten Tag unzдhlige, dann zu Hunderten, schlieяlich jeweils an die fьnfzig. Ich konnte ja schlieяlich nicht als ДLausemдdchenУ zum Unterricht erscheinen.

 

Fьr ausgezeichnete Arbeit beim Holzflцяen hatte ich eine Prдmie mit nach Hause gebracht: drei Meter ungebleichten Nesselstoff, aus dem ich mir gleich zwei Unterhemden nдhte, und ein Stьck Kernseife, ьber das sich meine Mutter unbeschreiblich freute. Auяerdem hatte ich mir noch Rheumatismus eingehandelt, mit dem ich mich meine ganze weitere Jugend herumquдlte. Doch ich hatte Glьck. Denn fьnf unserer Mдdchen wurden wegen Gebдrmuttersenkung vorzeitig nach Hause geschickt ...

Fьr unsere Familie hatte mein Einsatz beim Holzflцяen zur Folge, dass den ganzen Sommer und Herbst ьber niemand da war, der sich um meine Brьderchen kьmmern konnte. Meine Mutter war nicht einmal auf die Idee gekommen, mich auf der Fakultдt Дwegen familiдrer UmstдndeУ freistellen zu lassen. An der Front der Arbeit zu sein war wдhrend des Krieges eine Ehrenpflicht. Sich davor zu drьcken eine Schande. Fьr meine Eltern und fьr mich war die Devise ДAlles fьr die Front, alles fьr den SiegУ mehr als ein Appell. Die gesellschaftlichen Interessen stehen ьber den Familienproblemen Ц das war die Regel, an die wir uns hielten.

Die armenische Familie Gurjanow, die auf unserer Etage wohnte und viele Kinder hatte, erklдrte sich bereit, auf meine Brьder aufzupassen. Wolf und Rolf fьhlten sich bei ihnen sehr wohl, und es war fьr sie auch interessant. Fьr ihre Hilfsbereitschaft bekamen die Gurjanows wцchentlich von Mutter einen Laib Brot, mehr hatten wir nicht ьbrig. Vielleicht war es aber auch nur ein Mal im Monat.

 

Waltraut Schaelike. "Ich wollte keine Deutsche sein".  Karl Dietz Verlag Berlin 2006

Hosted by uCoz