WOELFE!!!

Auf dem Heimweg aus der Schule, es war schon zappenduster, schauten wir angestrengt auf jeden Strauch. Vielleicht sitzen die Untiere ausgerechnet dort und lauern, die Zдhne schaurig fletschend, auf uns?

Es hatte sich lдngst eingebьrgert, dass die Schьler, die eher Unterrichtsschluss hatten, auf die anderen warteten, nur um in einer groяen Gruppe nach Hause zu gehen. Aber wir sahen niemals Wцlfe. So verlor sich wдhrend des Rьckweges die Angst nach und nach, ohne aber ganz zu vergehen.

Eines Tages im Nowember 1942 hatte unsere neunte Klasse nur vier Unterrichtsstunden, die anderen aber sechs. Nach kurzem Nachdenken entschieden wir uns, nicht auf die anderen zu warten, sondern nach ДLesnojУ zu marschieren.

Ljalja, Sina und ich machten uns also allein auf den Heimweg. Die in der Schule Gebliebenen hatten unsere Taschenlampe. Wir dagegen beruhigten uns damit, dass ich tдuschend echt wie ein Hund bellen konnte. So gegen Woelfe ДbewaffnetУ zogen wir dann los.

Wohlbehalten ьberschritten wir den gefrorenen Fluss und stapften durch den dunklen Wald. Der Trampelpfad zwischen den Bдumen und Bьschen war so eng, dass wir hintereinander laufen mussten, vorn Sina, ich in der Mitte, als Letzte Ljalja. Sina schaute wachsam nach vorn, Ljalja ebenso wachsam nach hinten. Ohne Brille sah ich ьberhaupt nichts, versuchte trotzdem, die Bьsche am Wegesrand nach Verdдchtigem zu durchforsten. Wir fьrchteten uns, sprachen aber nicht darьber. Wir gingen schnell, fast im Laufschritt, schweigend und schwer atmend.

Plцtzlich schrie Ljalja ДDort, ein Wolf!У, schubste mich mit einer solchen Kraft zur Seite, dass ich fast hinfiel und begann zu laufen. Sina hцrte die furchtbare Nachricht und spurtete ebenfalls unaufhaltsam los. Ich war plцtzlich die Letzte und rannte im Schweinsgalopp den beiden hinterher.

Wдhrend ich renne, begreife ich: ДDer Wolf ist hinter mir, er fasst mich als erste und dann ist es aus.У Jдgerlatein taucht in meinem Gedдchtnis auf. Es kдme darauf an, dem Wolf die Hand tief in den Mund zu stecken, seinen Kopf an die Brust zu pressen bis er erstickt. Gleichzeitig erinnere ich mich an Baron Mьnchhausen, der einen Fuchs auf diese Weise von innen nach auяen gestьlpt hat. Den Kopf voll solcher Gedanken renne ich aus voller Kraft weiter.

 

Stop! So geht das nicht. Der Wolf holt mich sowieso ein. Ich muss mir was ausdenken. Ich entscheide mich an einem Baum stehen zu bleiben, dessen Stamm so stark ist, dass er meinen Rьcken voll abdeckt. Ich lehne mich mit dem Rьcken an den Baum und versuche mit meinen kurzsichtigen Augen den Wolf zu erspдhen. Ich bin bereit, ihm die Hand mit dem Handschuh ins Maul zu schieben und seinen Kopf an mich zu pressen. Doch zuerst will ich ihn mit meinem Gebell erschrecken. Ich stehe am Baum bereit, mein Leben bis zum Letzten zu verteidigen.

ДSinaУ, ДLjaljaУ rufe ich um Hilfe. Keine Antwort. Ich bleibe ruhig stehen, in der Gewissheit alles Menschenmцgliche getan zu haben.

Meine kurzsichtigen Augen sehen in diesem Moment wie ein schwarzer Punkt auf dem Trampelpfad erscheint, immer nдher und nдher kommt. Da ist er, der Wolf. Ein wahrhaft riesiges Tier! Der Wolf bleibt mir gegenьber wie angewurzelt stehen.

Ich beginne wie verrьckt zu bellen. Mein Gott, wie ich gebellt habe! Das Wolfsmaul ist offen, die rote Zunge hдngt heraus, seine Augen sind direkt auf mich gerichtet. Spring er mich jetzt an?

ДWau! Wau! Wau!У - tцnt es aus meinem Hals. ДWau! Wau! Wau Ц antwortet der Wolf. Seine Augen zeigen Verwunderung.

ДWau!, Wau!У Ц ich begreife immer noch nichts, ebenso wie mein Gegenьber. Wir bellen uns unentwegt und aus voller Kehle an, bis in meinem verдngstigten Hirn ein Gedanke hochkommt: ДOh Gott, Wцlfe kцnnen doch gar nicht bellen!У

 

Vor mir stand, auf seinen vier krдftigen Pfoten, ein echter deutscher Schдferhund! Bald erschien auch sein Frauchen auf unserem Pfad. Gut bewacht von unserem ДWolfУ, setzten wir nun gemeinsam unseren Weg nach ДLesnojУ fort. Ab dann liefen wir nur immer alle zusammen nach Hause.

 

aus

Waltraut Schaelike. "Ich wollte keine Deutsche sein".  Karl Dietz Verlag Berlin 2006

 

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