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Die Deutsche werde ich jetzt erschlagen

Im Sommer 1943, ich hatte gerade die  neunte Klasse abgeschlossen, wollte man mich,  einmal sechszehn Jahre alt, umbringen. Warum? Weil ich eine Deutsche war!

Es war Krieg. Unsere Moskauer Mдdchenschule war zur Erntearbeit aufs Land gefahren. Wir bemьhten uns nach Krдften, der Front zu helfen. Gewissenhaft schufteten wir gemeinsam mit den Sowchosbauern, arbeiteten Seite an Seite mit ihnen auf dem gleichen Feld, unter dem gleichen heimatlichen Himmel. Unsere lebhaften Gesprдche und Zurufe ДIskra, Elga, Trawka!У erschallten mal hier und mal da. Sie waren unьberhцrbar.

 

Eine der Bдuerinnen, eine schon bejahrte Frau, fragte eines Tages unvermittelt: ДMдdchen, was hat das zu bedeuten? Warum habt ich so sonderliche Namen?У

Irgendwer begann es ihr sogleich zu erklдren. Als die Reihe schlieяlich an meinem Spitznamen war und man, mit einem gewissen Stolz auf unsere ДExotikУ berichtete, dass ДTrawka unsere Deutsche seiУ, geschah das Unerwartete. ДDeuЕuutsche!?У unterbrach die Frau und ballte die Fдuste zu ehernen Klumpen. Auf ihrem Antlitz bildeten sich flugs knotige Striemen. Wie ein Rammbock stьrzte sie auf mich los und sagte dabei so seltsam stimmlos, dass es fast banal klang: ДDie Deutsche schlage ich jetzt tot.У

Nicht einmal der Schreck hatte genьgend Zeit, mir in die Glieder zu fahren. Alles ging nun blitzschnell. In Windeseile bildeten meine Klassenkameradinnen einen schьtzenden, undurchdringlichen Ring um mich, der mich sicher vom heranbrausenden Unheil abschirmte.

ДWas soll das? Sind sie verrьckt geworden? Noch nie was von den deutschen Kommunisten gehцrt? Sie kennen wohl den Unterschied nicht?У schrieen die Mдdchen der wьtenden Frau aus voller Kehle entgegen, sich dabei gegenseitig ьbertцnend.

Diese hielt ein, lauschte den verzweifelten Mдdchenstimmen und wandte sich schlieяlich ab. Mit seltsamer Stimme sagte sie in unsere Richtung: ДIch werde sie trotzdem tцten!У

Und ich? Ich verstand diese einfache russische Bдuerin, deren Mann oder Sohn oder auch beide gefallen waren. Ein einsamer, ohnmдchtiger, blinder Hass machte es ihr unmцglich, zu unterschieden, wer da vor ihr stand, ein sowjetisches Mдdchen deutscher Nationalitдt oder tatsдchlich ein Faschist, der ihr alles genommen hatte. Fьr sie, in ihrem unsдglichem Leid und Schmerz, waren alle Deutschen gleichermaяen schuldig am unwiederbringlichen Verlust ihrer Angehцrigen. Ja alle! Dafьr war sie bereit, sich zu rдchen. Sie war in diesem Augenblick bereit, zu tцten, etwas zu tun, was ihrer Natur, ihrem innerem Wesen eigentlich widersprach.

Ein Grund dafьr, dass ich mich nicht sonderlich erschrak, lag auch in meiner kindlichen Naivitдt. Ich konnte einfach nicht glauben, dass man mich am helllichten Tag, bei strahlendem Sonnenschein und unter den Augen meiner Schulkameradinnen tцten kцnnte. Daher habe ich mich nicht eine Sekunde gefьrchtet. Meine Gefдhrtinnen sahen das jedoch anders. Von da an lieяen sie mich nicht mehr aus den Augen. Ich konnte kaum mehr allein durchs Dorf gehen. Sie begleiteten mich zur Post und selbst bei der Feldarbeit wichen sie mir nie mehr von der Seite, arbeiten stets in meiner Nдhe. Kurzum, ich war gut behьtete; unaufdringlich, aber lьckenlos.

 

Zwei Jahre spдter fьhr ich mit dem Zug von Berlin, wo ich die Sommerferien bei den Eltern verbracht hatte, zurьck nach Moskau. Einer der Mitreisenden, ein sowjetischer Offizier, ein sympathischer, intelligenter Mann, wollte aus meinem Mund so viel wie mцglich ьber die Deutschen erfahren. Ihn interessierte vor allem die Meinung der Deutschen ьber die Bьrger der Sowjetunion und er war auch begierig, zu hцren, wie ich, die Deutsche, wдhrend des Krieges in der UdSSR gelebt habe, was mir dort widerfahren sei. Als ich ihm die Geschichte mit der Frau, die mich umbringen wollte, erzдhlte, hat ihn das sehr berьhrt. ДWie schrecklichУ erregte sich der Mann um etwas leiser, fast flehentlich hinzuzusetzen: ДVerzeihen sie ihr. Bitte!У

Ich hatte ihr schon auf dem Feld vergeben und sie gut verstanden, auch wenn ich persцnlich keinerlei Schuld auf mich geladen hatte.

 

Auch heute noch fдllt es vielen Menschen schwer, die Besonderheiten von Schuld zu erkennen. Das Verhдltnis von individueller Schuld und nationaler Verantwortung ist nicht so einfach, wie es oft dargestellt wird. Ein Gleichheitszeichen dazwischen zu setzen ist so einfach, wie falsch. Jeder schematische oder fehlerhafte Ansatz wird wieder zur Quelle von neuem Hass. So speisen sich ethnischen Konflikte der Gegenwart unter anderem auch aus archaischen Quellen, wie der mittelalterlichen Blutrache, von sozial-цkonomischen Interessenskonflikten und anderen Widersprьchen ganz zu schweigen.

 

Ein Kochgeschirr

 

Ich sah im Sommer 1944 in Moskau auch die schier endlose Kolonne deutscher Krieggefangener, die, flankiert von ihren Bewachern, durch die Straяen der sowjetischen Hauptstadt zog. Sie waren im Verlauf der erfolgreichen Offensive der Roten Armee in Belorussland in sowjetische Krieggefangenschaft geraten.

 

Wie unzдhlige andere Sowjetbьrger fiel es mir wдhrend des Krieges schwer zu begreifen, wie es dazu kommen konnte, dass Deutsche solche Grausamkeiten begehen konnten. Wie konnten sie als Duschrдume getarnte Gaskammern erfinden? Was brachte sie dazu, medizinische Experimente an Kindern durchzufьhren? Wie kam es, dass sie sich die Vernichtung ganzer Vцlker zur Aufgabe machten? Wie konnten die einfachen Deutschen schlieяlich den Faschisten glauben und ihnen folgen?

Die Fragen quдlten nicht nur meine Schulfreunde, sondern auch mich, das in Berlin geborene sowjetische Mдdchen, welches sich trotz aller Widrigkeiten nie als Fremde in seiner neuen Heimat gefьhlt hatte.

Deshalb hastete ich auch sofort zum Gartenring, als ich erfuhr, dass dort die Kolonnen der Krieggefangenen langziehen. Ich wollte mir den Anblick der ДechtenУ Deutschen nicht entgehen lassen. Ich wollte jene Deutsche sehen, die das Land, das fьr mich Heimat war, ьberfallen und verwьstet hatten.

Die Mдnner, die ich erblickte, liefen, einem riesigen grauen Strom gleichend, schnellen Schrittes, ohne Halt. Ich tastete mit den Augen die schnell wechselnden Gesichter ab, versuchte zu ergrьnden, was sie fьhlten, was sie in diesem flьchtigen Moment dachten.

Da liefen sie nun, wenige Meter von mir entfernt durch Moskaus breite Straяen. Ich, auch eine Deutsche, stand inmitten der unzдhligen Moskauer, die gekommen waren, diejenigen zu sehen, die ihre Verwandten und Landsleute getцtet hatten. Ich kann nicht sagen, was mich in diesen Minuten mehr interessierte, die dahingehenden fremden Soldaten in ihren feldgrauen Mдnteln oder die Menschen, die mit mir auf dem Bьrgersteig standen?

Insgeheim hoffte ich, dass es von keiner der Seiten zu Hassausbrьchen kommen wьrde, obwohl mir mein Verstand sagte, dass mein Wunsch wohl illusorisch sei.

Da stand ich nun und schaute in die schweigenden Gesichter der am Rande Verharrenden und der auf dem Asphalt Dahinziehenden. Fьr mich vцllig unerwartet ging von der ganzen Szenerie etwas unerklдrlich aus. Alles wirkte so alltдglich, ja fast banal. Das war umso erstaunlicher, als doch allen Anwesenden, sowohl den die Straяen sдumenden Siegern als auch den vorbeilaufenden Besiegten, bewusst sein musste, dass sie Augenzeugen eines historischen Ereignisses waren, beziehungsweise an diesem teilhatten. Niemand jedoch schien die Grцяe und Bedeutung des Momentes recht zu erfassen.

Unter den vorbeischreitenden Gefangenen machte ich lediglich einen einzigen aus, der dem Bild entsprach, das sich in meinem Unterbewusstsein von Дechten DeutschenУ geformt hatte. Dieser trabte inmitten der ungeordneten Reihen mit trotzig gesenktem Kopf. Seine Augen waren starr auf den Asphalt gerichtet, die Lippen hielt er zu einem schmalen Strich zusammengepresst und die Hдnde waren krampfhaft zu Fдusten geballt. Es schien, als wolle er mit jedem Schritt, mit jeder Bewegung des sehnigen, angespannten Kцrpers den Umstehenden seine Verachtung, seinen Hass und seinen Stolz entgegenschleudern.

Doch war dieser дltere Mann eine Ausnahme inmitten der meist blutjungen Gefangenen, die mit erhobenen Kцpfen stдndig mit den neben ihnen laufenden zusammenstieяen, weil sie ihre Blicke hastig ьber die Gebдude, die die Ringstraяe sдumten und die Gesichter der unzдhligen Schaulustigen auf den Bьrgersteigen gleiten lieяen.

Diese Jungen blickten voller Interesse auf die schicksalhafte Kulisse ihres sonderbaren Marsches, auf Moskau und die Moskauer. Sie schienen geradezu bemьht, alles in sich aufzunehmen, um ja nichts zu vergessen. Sie erschienen mir vor allem interessiert. In ihren Augen konnte man eine Neugierde erkennen, die durchaus freundlich war. Von Boshaftigkeit keine Spur! Sie waren am Leben geblieben und wьrden, wenn alles gut geht, den Krieg lebend ьberstehen. Das waren ganz gewцhnliche Menschen. Fast kцnnte es scheinen, sie unternдhmen zufдllig einen Ausflug.

Ich war offenbar nicht die Einzige, die erstaunlicherweise nicht von einem festlichen Hochgefьhl oder gar von einer Jubelstimmung ergriffen wurde, als die Krieggefangenen an uns vorbeizogen.

Unweit stand ein altes Mьtterchen. Es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass sie keine Hauptstдdterin war, sondern aus einem Dorf stammte. Sie begann plцtzlich zu jammern: ДHerr im Himmel, was sind das bloя fьr Jьngelchen, die gehцren doch in die Sauna zum Baden und Schwitzen. Diese armen Burschen!У

Keiner der Umstehenden stimmte in das Lamento der Alten ein, das so ganz und gar nicht der Feierlichkeit des Augenblickes zu entsprechen schien. Aber es fand sich auch niemand, der ihrer scheinbar absurden Idee widersprach. Selbst ein bejahrter stattlicher Mann mit einem beeindruckenden Vollbart, eine Gestalt, die direkt von einem der Partisanenplakate herabgestiegen schien, schwieg. Er war aber der Einzige, der auf die geschlagenen Feinde so blickte, wie es sich auch fьr die №brigen geziemt hдtte, verдchtlich, mit demonstrativer Herablassung, mit einem durchdringenden kalten Blick. Seine geballten riesigen Fдuste verrieten einen abgrundtiefen Hass gegen die graue Masse der durch Moskau laufenden geschlagenen Fremdlinge.

Ja, er war der einzige, den ich mit einem solchen Ausdruck, mit solchen Fдusten um mich herum erblickte. So wie ich nur einen einzigen Deutschen gesehen hatte, dessen ganze Gestalt feindsselige Abwehr signalisierte.

 

In den Mienen der ьbrigen Moskauer konnte ich lediglich Neugier und zum Teil Erstaunen darьber ablesen, dass er nun geschlagen an ihnen vorbeizog, der gestern noch so tцdliche, furchtbare, Angst einflцяende Feind. Er war nun zum Greifen nahe und ungefдhrlich fьr sie. Hass? Nein, von Hass war, aus welchen Grьnden auch immer, nichts zu spьren. Der erhцhte Bьrgersteig war von einfachen Moskauern bevцlkert, die ganz so auf den feldgrauen Zug sahen, als ob sie sich im Kino einen sonderbaren, interessanten Film anschauten.

In den Gesichter der mit Gewehren bewaffneten Begleitsoldaten jedoch, die den Zug in gehцrigen Abstдnden weniger bewachten als vielmehr eskortierten, war deutlich zu erkennen, dass sie sich der Bedeutung des Momentes bewusst waren. Sie strahlten hoheitsvolle Strenge, Konzentration und Wachsamkeit aus.

 

Die Kriegsgefangenen liefen in schier endlosem Zug. Da geschah etwas in der Marschkolonne, was die ohnehin nicht sonderlich ordentlichen Reihen fьr einige Sekunden vollends durcheinander brachte. Wie sich bald herausstellte, hatte ein blutjunger Soldat, offensichtlich abgelenkt in seiner selbstvergessenen Betrachtung der Szenerie, nicht bemerkt, dass sich sein Kochgeschirr vom Halteriemen lцste. Das kleine topfдhnliche Ding fiel scheppernd auf den heiяen Asphalt. Der Junge bьckte sich schnell und versuchte, das Gefдя behдnde wieder aufzuklauben. Die unverdrossen nachrьckenden Marschreihen jedoch machten es ihm unmцglich, den kleinen Metallkessel zu erhaschen. Bemьht, die Ordnung nicht aufzulцsen, gaben sie ihm keinen Raum, setzten eisern und unentwegt ihren Marsch durch Moskau fort.

Der arme Bursche blieb einen Moment verwirrt stehen. Einer der Gefangenen stieя das Kochgeschirr wie einen Fuяball in Richtung des Pechvogels, um ihm zu helfen, sein Geschirr wiederzubekommen. Die unzдhligen Beine auf dem Weg dahin verhinderten aber, dass dieser wieder auf direktem Weg zu seinem Besitz gelangte. Der unglьckliche Soldat stand immer noch, auf ein Wunder hoffend, im Strom der Dahinschreitenden. Deutlich war zu erkennen, dass er davor zurьckschreckte, die ohnehin desolate Marschordnung noch mehr durcheinander zu bringen.

Da trat plцtzlich eine junge Frau aus der Masse der Moskauer, die das Trottoir sдumten und den ungewцhnlichen Zug beдugten. Sie lief direkt auf das graue Dickicht der Soldatenleiber zu, die immer noch das Blechgeschirr mit den Fьяen polternd hin und her schoben. Dieses lag in unmittelbarer Reichweite der unverhofften Helferin. Es war ihr also durchaus mцglich, den fьr den Soldaten lebensnotwendigen Metallnapf hurtig aufzuklauben und ihn dem armen Kerl in die vor Hilflosigkeit und Erschrecken zitternden Hдnde zu drьcken.

 

Da ergriff die riesige Pranke des vollbдrtigen ДPartisanenУ die Frau an der Schulter und zog sie mit hьnenhafter Kraft in den Zuschauerpulk zurьck. ДWohin willst Du? Wohl verrьckt geworden?У fragte der Alte bedrohlich. Die Frau ging verlegen an ihren Platz zurьck. Wieder sagte keiner der Umstehenden auch nur ein Wort.

Der deutsche Soldat aber, der verstцrt von dannen trabte, um seinen Platz in der Marschkolonne wieder einzunehmen, blieb ohne sein Kochgeschirr. Dieses polterte weiter zwischen den Fьяen der dahinziehenden feldgrauen Gestalten und keiner unternahm auch nur einen Versuch, wenigstens fьr eine Sekunde einzuhalten und es aufzulesen.

Ein kleiner, banaler, fast unbeachteter Zwischenfall. In der heiяen Luft ьber dem historische Zug der Kriegsgefangenen durch Moskau schwirrte aber etwas nicht Alltдgliches mit. Der durch Krieg und Tod geschaffene, unьberwindbar erscheinende eherne Wall zwischen einfachen Deutschen und den leidgeprьften Bьrgern der Sowjetunion in Gestalt der Moskauer Bevцlkerung, bekam im Sommer 1944 auf dem Gartenring erste unsichtbare Risse.

 

Mir aber, die ich mich mit der Frage, wie die Deutschen den Faschismus zulassen konnten, herumplagte, hat das erste Zusammentreffen mit solchen ДrichtigenУ Deutschen nicht weitergeholfen. Was ich sah, waren Е Menschen.

 

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